Sterbehilfe

Sterbehilfe


Unter "Sterbehilfe" wird einerseits die leidenslindernde Begleitung sterbenskranker Menschen (Palliativmedizin) verstanden, andererseits aber auch verschiedene erlaubte aber auch unerlaubte Maßnahmen zur Verkürzung des Lebens.


Palliativmedizin - eine umfassende Information zur Palliativmedizin findet sich auf der Seite des Palliativnetz Witten e.V. ( www.sapv.de ), Thöns ist Mitherausgeber eines  Palliativmedizinlehrbuchs in 3. Auflage. Hierzu gab es zu Allerheiligen einen bewegenden Film im ZDF (Unterwegs an Allerheiligen), der Stern berichtete im Heft vom 03.07.2022 ("Palliativmediziner Thöns: Der Tod ist kein Feind")


Unsere Praxis betreut seit Jahren etwa 500-600 Patienten* am Lebensende, sorgt sich um gute Lebensqualität von Patienten und ihren Familien. 

Mit dem Wunsch nach Verkürzung der Lebenszeit sind wir regelmäßig konfrontiert, etwa jeder vierte unserer Patienten äußert dies im Krankheitsverlauf. Stets sind wir offen bemüht, auch über diese Sorgen zu sprechen und die uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu mehr Lebenswillen aufzuzeigen. Kaum einer kann unbetroffen nachvollziehen, dass es mit den Möglichkeiten moderner Palliativmedizin oft gelingt, Leiden gut zu lindern. Insbesondere Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Erbrechen, Depression und auch Angst sind meist einer Therapie gut zugänglich. Das führt dazu, dass nach Linderung der Beschwerden der Wunsch nach Lebensverkürzung in fast allen Fällen wieder verschwindet. Selbst die Angst vor den äußerst selten auftretenden schwersten Symptomen ist grundlos: Hier dürfen wir zur Leidenslinderung Menschen in den Schlaf versetzen, notfalls sogar als Narkose bis zum Lebensende (sog. palliative Sedierung).


Unzureichende Leidenslinderung am Lebensende ist uns aus unserer Begutachtungspraxis wohl bekannt. Hier spielt leider oft eine sich nicht begrenzen könnende Maximalmedizin, mit apparativer oder künstlicher Lebenserhaltung die führende Rolle. Dies geschieht leider oft unter unzureichender Berücksichtigung von Indikation oder Patientenwille (Übertherapie), Experten sehen den Anteil an Übertherapie am Lebensende in der Intensivmedizin bei 50% (s. ZDF Lanz).


Genau vor so einem Lebensende haben sehr viele Menschen berechtigt Angst, denn mittlerweile stirbt jeder zweite im Krankenhaus versterbende Mensch auf einer Intensivstation (Link). Hier hilft die frühzeitige Vorsorgeplanung mit der Verfassung einer Patientenverfügung (hier schreibt man auf was man möchte und was nicht) und einer Vorsorgevollmacht (hier bestimmt man eine Vertrauensperson, die im Sinne des Patienten entscheidet). In jedem Fall ist es hilfreich sich im Falle „großer Medizin“ eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung einzuholen. Die meisten in Deutschland gerichtlich entschiedenen „Sterbehilfefälle“ handelten von diesen Situationen, hier stritten dann Angehörige mit Behandlern um die sogenannte passive Sterbehilfe. Darunter versteht man das oftmals gebotene natürliche Zulassen des Versterbens unter Abbrechen oder Unterlassen lebenserhaltener Maßnahmen (angefangen vom Absetzen der Herzpille bis zum Abschalten des Beatmungsgerätes unter Narkose). 

Nicht selten berichten uns Familien und Patienten, dass die letzte Lebensphase eine der schönsten und intensivsten war. Doch unsere Praxis verschließt sich dem sehr seltenen bleibenden Wunsch nach Lebensverkürzung nicht. Dabei kommen wir öfter in die Situation Menschen Wege zur Lebensverkürzung aufzuzeigen, sei es die sog. „assistierte Selbsttötung“ oder das "Sterbefasten" (s.u.).


Dass es aber zu einer assistierten Selbsttötung kommt, ist äußerst selten und passiert trotz unserer diesbezüglich bekannten liberalen Haltung selten. Unsere Praxis begleitet hier ausschließlich schwer körperlich kranke Menschen. Auch hier sehen wir natürlich Maßnahmen der Hilfe zum Leben (s.o.) als sehr wichtig an. Diese Suizidprophylaxe sollte insbesondere bei "körperlich gesunden" Menschen ganz im Vordergrund stehen. Gesetzliche Regelungen stehen hier aus und werden für Anfang 2023 erwartet.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer auch von unserer Praxis eingelegten erfolgreichen Verfassungsbeschwerde am 26.02.2020 diverse Kriterien formuliert, um  Menschen dieses Recht zu gewähren.  Andererseits schützt das Urteil Menschen in behebbaren Krisensituationen, bei fehlender Freiverantwortlichkeit oder auch vor überstürzten oder fremdbeeinflussten Verzweiflungstaten. Unsere Praxis hat mit anderen renommierten Palliativmedizinern, bekannten Juristen, Kriminalkommissaren und einem Psychiatrieprofessor eine Handreichung anhand dieser Kriterien in der Zeitschrift Schmerzmedizin veröffentlicht** . Demnach sollten zwei Ärzte unabhängig voneinander feststellen, dass keine die Freiverantwortlichkeit beeinflussende geistige Störung besteht. Nur in Zweifelsfällen braucht einer der Ärzte ein Psychiater sein. Der Patient muss um die guten Behandlungsmöglichkeiten der Palliativmedizin wissen, er muss die Möglichkeiten des Behandlungsabbruchs kennen. Auch muss ihm klar sein, dass ein Selbsttötungsversuch scheitern kann und im Anschluss die Staatsanwaltschaft ermitteln muss. Es kann vorkommen, dass z.B. Lebensversicherungen ihre Leistungen verweigern. Es darf sich natürlich nicht um einen flüchtigen Wunsch handeln (seit 1 Monat bestehen und 14 Tage nach ärztlicher Beratung stabil bleiben). Hinweise, dass der Patient unter dem Druck von Dritten handelt, dürfen nicht bestehen.

Die eigentliche Suizidhilfe erfolgt entweder durch die Verordnung und Anleitung eines selbst zu nehmenden Medikamentencocktails oder durch das eigene Starten einer Infusion mit einem überdosierten Narkosemedikament. Während es bei der Selbsteinnahme keine gesicherten Erfahrungen gibt und der Versuch insbesondere durch das Erbrechen des Giftes scheitern kann, handelt es sich bei der arztbegleitenden Infusion um eine ziemlich sichere Methode. Hierzu ist - berechtigt - eine Fachdiskussion in Österreich entstanden (link): die meisten Selbsttötungsversuche mit selber eingenommenen Medikamenten scheitern, teils mit gravierenden Folgen. Insofern möchten wir sehr vor der Nachahmung diverser "Empfehlungen zur Eigenanwendung" in der einschlägigen Literatur warnen.


Zur aktuellen Situation um die beiden Urteile gegen ärztliche Sterbehelfer

Im Frühjahr 2024 wurden zwei ärztliche Suizidhelfer zu über drei Jahren Haft wegen „Totschlags in mittelbarer Täterschaft“ verurteilt. Im Fall des Dorstener Arztes Joseph Spittler sei erwiesen gewesen, dass er einer nicht freiverantwortlich handelnden 42jähirgen Frau beim Suizid geholfen hat. Die an einer Schizophrenie leidende Patientin mit Suizidwunsch habe dem Gericht zufolge nicht freiverantwortlich gehandelt, auch sei sie fehlerhaft von einer schweren Augenkrankheit ausgegangen, mithin nicht richtig aufgeklärt gewesen.(link)

In dem anderen Fall des verurteilten Berliner Hausarztes Christoph Turowski, der einer 37jährigen schwer depressiv erkrankten Patientin beim Suizid half, war die bestehende Freiverantwortlichkeit im Gerichtsverfahren strittig. Der Arzt hatte der Patientin zunächst tödlich wirkende Medikamente verschrieben, der Suizidversuch scheiterte allerdings aufgrund von Erbrechen der Substanzen. Später setzte er ihr eine Infusion in einem Hotelzimmer, diese gab die Patientin selber frei und starb daraufhin rasch und friedlich. Die Anklage für den ersten Tabletten-Suizidhilfeversuch wurde fallen gelassen, da die fehlende Freiverantwortlichkeit letztlich nicht bewiesen war. Das Gericht stützte seine Verurteilung im zweiten Fall – der vollzogenen Suizidhilfe mittels Infusion - im Wesentlichen aus der Email-Kommunikation zwischen Arzt und Patientin an ihrem Todestag: Aus dieser sei klar erkennbar gewesen, dass die Patienten zwischen dem Willen zu Leben und zu Sterben stark schwankte (link).

In beiden Fällen erkannten die Gerichte nicht eine straflose Beihilfe zum Suizid, sondern sahen die beiden Ärzte als mittelbarer Täter eines „Totschlags“, die die Frauen zum Werkzeug gegen sich selbst gemacht hätten. Beide Urteile sind aktuell noch nicht rechtskräftig, da eine Revision zum Bundesgerichtshof anhängig ist (link).

Die Fälle zeigen einerseits die nicht unerheblichen Risiken der Suizidhilfe in Deutschland bei nicht eindeutig freiverantwortlichen Menschen, andererseits auch, dass Suizidhilfemethoden unter Einsatz schluckbarer Medikamente mit dem nicht unerheblichen Risiko des Scheiterns und Leiden behaftet sind. Selbst unter Einnahme des dazu in der Schweiz verwendeten Pentobarbitals kommt es in 10 % der Fälle zu Erbrechen, bis zu 4 % der Patienten erwachen wieder. Der Sterbevorgang kann bis zu 7 Tage lang dauern (link).



Für Behandlungen durch unser Team wenden Sie sich bitte telefonisch an unsere Praxis (57093), ggfs. sprechen Sie eine Rückrufbitte auf das Band. Sollten Sie nicht in Witten wohnen, erbitten wir den Kontakt primär über email (at) sapv.de.  Wir lassen Sie nicht im Stich.


Sterbefasten

 

Der Freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit („FVNF“), in der Absicht vorzeitig zu sterben, vereinfachend Sterbefasten, wird seit gut 10 Jahren in Deutschland diskutiert und zunehmend auch praktiziert. Auch in Österreich und in der Schweiz ist dies inzwischen ein Thema. Es ist jedoch noch längst nicht allgemein bekannt.

 Auch in unserer Praxis wurden viele Menschen beim Sterbefasten begleitet – mit überwiegend guten Erfahrungen.

 Hier bieten wir eine Praxis-orientierte Übersicht als frei herunter-ladbare Datei an. Sie wurde 2022 von Dieter Birnbacher, Christian Walther, Christiane zur Nieden und

Hans-Christoph zur Nieden erstellt. Sie sind wie niemand anderes im deutschsprachigen Raum mit dem Thema und der Umsetzung befasst. Wir sind dankbar, dass sie diese Handreichung hier zum kostenfreien Download zur Verfügung stellen (LINK).




*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird aus redaktionellen Gründen bei Personenbezeichnungen auf dieser Website die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter

** Thöns, M., Putz, W., Dose, M., Überall, M., Cuno, J., Beck D., Matenaer, B., Wefelscheid, R., Hilgendorf, E. (2021). Umgang mit nachhaltigen Suizidwünschen bei schwerer Krankheit. Schmerzmedizin, 37(4), 12-15

© Springer Medizin, mit freundlicher Genehmigung

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